Loslassen – das persönliche Tempo finden

Wie beschrieben, hat sich meine Kondition trotz bzw. auch mit LongCovid verbessert. Zum Glück haben mir die Integration von Atemübungen („Lippenbremse“) innerhalb der täglichen Spaziergänge geholfen, körperlich wieder fitter zu werden. Bei weitem nicht so fit wie vor der Coronainfektion, aber immerhin. Also habe ich schon von kleineren oder größeren Wanderungen geträumt, über ein bestimmtes Maß bin ich aber nie hinausgekommen. Aber wo ich jetzt im Grünen wohne, vielleicht klappt es da besser?
Um es gleich zu sein: Nein, besser klappt es nicht. Es ist aber sehr viel mehr Lebensgenuss, so viel Grün um mich herum zu haben. Ich genieße es jeden Tag.

Die Symptome ändern sich – LongCovid bleibt

Leider haben sich – für mich lange unbemerkt – weitere LongCovid-Symptome hinzu gesellt, die immer stärker und schlimmer wurden. Ich hatte mehr Kondition, die Atmung war besser, aber mein Immun- und Verdauungssystem wurde immer chaotischer. Ich hatte irgendwann das Gefühl, kaum noch ein Lebensmittel zu vertragen. Da ich nunmal auch kein Dixi-WC hinter mir her schleifen kann, wurde ich dadurch unbeweglicher, was mich unzufriedener machte. Irgendwann habe ich es zum Glück bemerkt. Es war an einem warm-schwülen Frühlingstag, ich hatte mich viel bewegt, dann noch im Haushalt etliches erledigt, die körperliche Kondition machte dies ja möglich. Und genau in dieser Situation fing mein Immun- und Verdauungssystem wieder komplett an durchzudrehen. Vergleichbares wiederholte sich noch ein oder zweimal, dann war klar: Ok, die Symptome kommen und gehen, was bleibt ist LongCovid. Genauer gesagt: die Belastungsintoleranz. Manche nennen es  auch ME (Myalgische Enzephalomyelitis) oder PEM (Post exertionelle Malaise). Ich bin keine Medizinerin, der Fachbegriff ist mir auch egal. Medizinisch heißt es ja auch PostCovid und nicht LongCovid. Für mich ist das an dieser Stelle mal egal, denn Fakt ist:

Das ganze Drama ist noch da.  Es drückt sich nur anders aus, der Körper macht an einer anderen Stelle „schlapp.“ Das ausgerechnet dann noch eine Rippenprellung und anschließend ein grippaler Infekt im Juni dazu kamen, komplettierten das Desaster. Natürlich ging es mir damit phasenweise nicht nur körperlich schlecht, meine Stimmung war auch immer wieder im Keller. Ich war traurig, wütend, enttäuscht, verzweifelt. – Aber damit gebe ich mich auf Dauer natürlich nicht zufrieden. 😉

Loslassen Schritt für Schritt

Sich ärgern ist menschlich, bringt aber keine Verbesserung, es raubt eher Energie und die kann ich wirklich für besseres nutzen. Jahrelange Achtsamkeitspraxis sei dank kann ich irgendwann auch negative Energien und Emotionen loslassen. Am besten gelingt mir dies durch bewusstes Gehen mit meinen Atemübungen. Erstmal ganz kleine Strecken, einatmen, ausatmen, Schritt für Schritt und nichts anderes zählt. Immer wieder, immer wieder. Und nein, es geht mir nicht um Verdrängung, sondern um Loslassen, immer wieder beharrlich geübt. Das macht meinen Kopf frei und entspannt. Und damit verbunden gelang es mir dann auch, übertriebenen Ehrgeiz, zu hohe Ziele, zu starke Ambitionen, wie z.B. lange Wandertage, einfach mal loszulassen. Ein kleines Schlüsselerlebnis war ein eher kleiner und kurzer Waldspaziergang. Einfach nur einen Weg hin und wieder zurück. Es war wunderschön: Die Bäume, die Luft, das Spiel von Licht und Schatten. Und die Erkenntnis: Ich muss nicht stundenlang oder einen ganzen Wandertag im Wald verbringen, selbst so eine kleine Runde von einer halben oder einer Stunde kann ein unglaublicher Genuss und Lebensfreude sein. Es kommt nur darauf an, wirklich wahrzunehmen, wie schön z.B. so ein Stückchen Natur ist. Sie verschafft mir Energie und Lebensfreude für Stunden und Tage.

Lichtdurchflutetes Waldstück

Und es gibt hier so viele kleine, schöne Wege in der Nähe. Es reicht mitunter sogar, einfach nur aus meinem Fenster zu schauen: So schöne, große und alte Bäume! Ein schicker Palast in einer Betonwüste ist nichts dagegen.

Blick auf große, alte Bäume

 

Nicht noch selber Elend oben drauf packen

Der Buddhismus unterscheidet Schmerz und Leid. Vereinfacht gesagt: Schmerz ist das, was einfach da ist (z.B. eine Erkrankung), Leid ist das, was ich mir dann selber noch oben drauf packe. Ich kann nicht mit allen buddhistischen Inhalten etwas anfangen, aber diese Sichtweise finde ich sehr hilfreich. Die Belastungsintoleranz ist noch da, aber ich werde nicht zulassen, dass deshalb negative Gedanken und Emotionen Besitz über mich ergreifen und ich zu dem LongCovid-Elend auch noch selbst ein Elend oben drauf packe. Natürlich bin ich auch nicht frei von negativen Gedanken und Emotionen. Aber ich kann sie wahrnehmen, ernstnehmen und dann auch wieder loslassen. Mit jedem achtsamen Atemzug, mit jedem achtsamen Schritt lässt sich dies üben. Und es macht mich innerlich freier, mich dann auch Schönerem zuwenden zu können. Seitdem geht es tatsächlich auch bergauf. Mein Immun- und Verdauungssystem hat sich deutlich beruhigt.

Und sollte irgendwer doch noch die ultimative, tatsächlich wirksame Wunderpille gegen LongCovid und Co. finden: Natürlich freue ich mich dann. Aber ich setze mich bis dahin nicht in die Ecke und warte auf dieses Vielleicht-Wunder, ich werde auch nicht erfolglos und stundenlang das Internet danach absuchen. Sollte so eine Wunderpille kommen, geht das ohnehin alle Medien hoch und runter. Lieber schaue ich, womit es mir jetzt gut geht. Mit noch bewussterem Pacing kann ich die in den zurückliegenden Wochen schlechter gewordene Kondition jetzt langsam und behutsam wieder aufbauen. Ganz nach meinem Rhythmus und in meinem Tempo.

 

 

 

 

18 thoughts on “Loslassen – das persönliche Tempo finden

  1. Ich bin noch mit dem Satz aufgewachsen: „Ausruhen kannst du, wenn du tot bist.“ Dieser Satz ist auf brutale Weise menschen- und lebensverachtend, beschreibt aber die Arbeitsmoral meiner Generation. Sechs-Tage-Woche, Doppelschichten in der Fabrik, 1000 DM netto Überstundengeld gehörten auch für mich zum Alltag. Und ich habe miterlebt, wie Kollegen mit Anfang 60 auf der Arbeit am Arbeitsplatz tot umfielen. Die von Politikern geschmähte Work-Life-Balance der jüngeren Generation erscheint mir vernünftiger. Das hat nichts mit Faulheit zu tun. Bei uns im Betrieb arbeiten die jungen Leute hart, aber die freie Zeit hat genauso viel Wert, wie die Arbeit.

    1. Was du sagst, sehe ich genau so. Bei Jüngeren entsteht durch die Medien sicherlich manchmal auch ein schiefes Bild. Nicht alle sitzen an ihrem Laptop auf Bali, nicht alle amüsieren sich beim Vanlife im Sabbatical. Idealerweise sind sie vielleicht einfach nur nicht so blöd, wie wir es mitunter waren und die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist für sie günstiger. Ich bin jahrzehntelang nicht mal auf die Idee gekommen, dass es Jobs gibt, die nicht so stressig sind und wo man mehr Geld verdient. Die geburtenstarken Jahrgänge (Boomer) sind natürlich in sehr großer Anzahl in den Arbeitsmarkt gestartet. Es gab hohe Arbeitslosigkeit und es war ein leichtes für Arbeitgeber, uns unter Tarif zu bezahlen. Eine Alternative zu etlichen Überstunden gab es kaum (bei uns gabs im besten Fall Zeitausgleich, keine Bezahlung dafür). Man war froh, überhaupt irgendeinen Job zu haben. Internet zum Informieren gabs auch nicht. Es war eine komplett andere Situation, irgendetwas Heroisches und Arbeitsheldentum war es definitiv nicht.

      1. Guten Sonntag!

        Da sprecht Ihr was Wahres an. Letztens im Radio (DLF oder BR24?) einen sehr guten Beitrag über die moderne Arbeitswelt gehört. Darin sprach eine Frau – sehr vernünftig – u.a. auch über die Diskussion über W-L-Balance: das beträfe nur gut ausgebildete Leute, oft in der IT-Branche, die so viel verdienen, dass 20…30 h/Wo. reichen. Auf die meisten jungen Menschen träfe dies gar nicht zu!! Die hätten zu tun, über die Runden zu kommen!!
        War vor ein paar Wochen bei einer Stadtführung. Die junge Frau, grad mal 20 J., studiert, kellnert nebenbei, betreut einen Senioren-Chor… Alles andere als faul!
        Diese ganzen Geschichten von Reise-Bloggern, Van-Lifern … gehen mir langsam auf die Nerven. Das funktioniert für einige, wenige. Denen ich das auch gönne! Aber es entsteht der Eindruck, dass die „normale“ Arbeit gar nichts mehr wert ist. Auch Van-Lifer brauchen Strukturen vor Ort (Arzt, Supermarkt, Tankstelle…). Wenn diese Angestellten auch alle nur noch unterwegs sein wollen, klappt das nicht.
        Auch ich war stolz, gearbeitet zu haben mit Bronchitis, Gastrtitis, eine Woche nur daheim beim (1.) Hörturz. Die Quittung hab ich jetzt. Und wofür?
        Den voigen Generationen muss man zu gute halten, dass die Situation anders war. Insbesondere nach dem Krieg galten andere Bedingungen.

        1. Nach meinem Geschmack wird da auch zu wenig über Arbeitsbedingungen geredet. Es hat in den letzten Jahrzehnten in sehr vielen Branchen eine massive Arbeitsverdichtung gegeben. Irgendwann geht das auf den Körper und die Psyche. Und das ist dann recht unabhängig vom Alter. Mal abgesehen davon, dass man die Überlastung als jüngerer Mensch vielleicht körperlich noch besser weg steckt.

          1. Da stimme ich voll zu! Es spielt auch fast keine Rolle, in welcher Branche man/frau arbeitet. Von daher triggert mich die aktuelle politische Debatte sehr!
            Und weil wir einmal dabei sind: zwar mag es Mneschen geben, die sich bequem im Bürgergeld eingerichtet haben – aber ich glaub nicht, dass dies auf die meisten zutrifft! Hier wird nur wieder ein Feindbild für diejenigen aufgebaut, die unter der Last der (ihrer) Arbeit leiden.

          2. Die Jobcenter selbst haben ja auch schon zig mal wiederholt, dass der Anteil der Totalverweigerer verschwindend gering ist. So große Summen werden da wohl nicht eingespart werden können.
            Diese Spaltereien bringen uns außerdem auch nicht weiter.

  2. Hallo Gabi,
    schön, dass du dich nicht unterkriegen lässt!
    Da sieht man wieder, wie eng Körper und Geist zusammen hängen.
    Ich wünsche dir ganz viel Kraft! Genieße die guten Stunden und schöpfe Kraft, damit du die schlechten Stunden gut überstehst. (Ist einer meiner Leitsätze.)
    Liebe Grüße, Sibylle

    1. Die guten Stunden genießen, um die schlechten Stunden besser zu überstehen – das erinnert mich interessanterweise gerade an deinen Garten: Im Sommer bzw. Herbst ernten, einkochen, um im Winter gutes Essen zu haben. Im Grunde ist es ein ähnliches Prinzip.
      Es ist mit diesem LongCovid-Mist mitunter wirklich richtig schwierig, aber davon unterkriegen lassen: Nein, nie! Tempo anpassen, das schon.

  3. Den Rat, nicht selbst noch Elend oben drauf zu packen, nehme ich mir mit (und in Zukunft hoffentlich mehr zu Herzen). Andererseits kann ich dich mit den großen Wanderzielen gut verstehen. Wenn es im Wald so schön ist, will ich auch am liebsten ewig darin herumwandern. Und wenn Zeit und Umstände es nicht zulassen, lasse ich mich davon tatsächlich ärgern – das hilft natürlich gar nicht. Auch wenn ich mir deine gesundheitlichen Themen kaum vorstellen kann, könnte ich mir ja trotzdem ein Beispiel nehmen und auch mal mit einem kleinen Spaziergang zufrieden sein. Dabei ist der Wald nicht weniger schön.
    Liebe Grüße und weiterhin gute Besserung!

  4. Es ist auch wirklich nicht so einfach den Punkt zu finden an dem man sich besser schont, gleichzeitig aber auch auszuloten ob nicht doch noch ein wenig mehr Belastung geht. Kenne ich gut von mir selbst. Auch mir hilft das tägliche Meditieren, dieses in sich gehen, achtsam sein und auch meine täglichen Spaziergänge . Bei mir sind die körperlichen Beschwerden eher bedingt durch meine Psyche, die besonders im letzten Jahr ziemlich mitgenommen war . Die Betreuung/Pflege meiner Mutter ist halt nicht so einfach, aber ich habe gelernt die Situation anzunehmen. Ich hoffe, das deine Beschwerden sich doch noch weiter bessern und wünsche dir viel Erholung beim Spazierengehen. Liebe Grüße

    1. Ich hoffe, du findest zwischendurch immer mal wieder ein paar Auszeiten zur Erholung, denn Pflege kann sehr anstrengend sein. Da ist das ja besonders wichtig.

  5. Liebe Gabi.
    Gerade durch meine chronische Krankheiten habe ich gelernt, wie wichtig Pacing ist. Auf uns und unseren Energiehaushalt achten und viel öfter Pausen machen. Bei dir klang es so, als ob du es auch versäumt hattest. Alles lief gut. Besseres Körpergefühl, mehr Kondition, das ist doch die Gelegenheit, gleich noch ein paar Dinge im Haushalt mit zu erledigen. Nur nochmal 10 Minuten … bis man merkt, genau die 10 Minuten waren zu viel. Heute sage ich rechtzeitig Stop, wenn ich weiß, dass ich das 4. Fenster nicht mehr putzen kann, oder zu einer Feier eingeladen bin, auf die ich mich zwar gefreut hatte, von der ich aber weiß, dass sie zu zu voll und zu laut werden wird. Tue ich das nicht, „bestraft“ mich mein Körper mit Schmerzen.
    Es ist so ungeheuer wichtig, für uns selbst zu sorgen und nicht über Grenzen zu gehen, um andere glücklich zu machen. Bei allem viel Geduld zu haben, mehr als man sich vorstellt.
    Ja, Philipp, die Erfahrung deiner Ärztin mache ich auch gerade.

    1. Hallo Elli, ich hatte die Crash-Anzeichen nicht erkannt. Die körperliche Energie war ja da, Atmung lief auch. Da ich ohnehin mit Allergien zu tun habe, hat es gedauert, bis ich bemerkt habe, dass meine Symptome mit der üblichen Allergie nichts zu tun haben, sondern eine Überlastungsreaktion sind.
      Ja, viel Geduld braucht man da wirklich. Nicht über die eigenen Grenzen gehen bedeutet ja auch, ich selbst fühle mich wohler und entsprechend angenehmer ist es dann auch für mein Umfeld.

  6. Hallo Gabi,

    eine kluge Frau, ihres Zeichens Ärztin im Ruhestand, sagte mir einmal: „Ich konzentriere mich nicht auf das, was im Alter nicht mehr geht, sondern erfreue mich an dem, was noch möglich ist.“

    Post-COVID ist nicht altersabhängig, aber egal aufgrund welcher Ursache, kommen alle Menschen ab einem bestimmten Alter an den Punkt, wo man merkt, dass manche Dinge (teilweise vorübergehend) nicht mehr so reibungslos oder gar nicht mehr gehen. Aus meiner eigenen Krankheitsgeschichte weiß ich, wie sehr solche Gedanken herunterziehen können und man glaubt, dass es nie wieder besser werden kann. Oft mutiere ich dann zu einem anderen Menschen, den ich selbst gar nicht wiedererkenne und im Nachhinein am liebsten leugnen würde.

    Unsere Psyche hat auf unsere körperliche Gesundheit einen größeren Einfluss, als wir wahrhaben wollen. Deshalb finde ich es gut, dass du positiv nach vorne schaust!

    Weiterhin gute Besserung und nimmt dir alle Zeit, die du dafür brauchst.

    Lieber Gruß
    Philipp

    1. Hallo Philipp, vielen Dank. Die Ärztin hat wirklich recht, ein Perspektivwechsel hilft. Denn hartnäckige Erkrankungen oder sonstige körperlichen Einschränkungen können sehr an die eigene Substanz gehen. Ich kann mir sehr gut nachempfinden, wie es dir da manchmal gegangen ist.
      Es gibt tatsächlich Menschen mit Anfang oder Mitte Dreißig, denen es mit PostCovid bzw. ME/CFS deutlich schlechter geht als mir.

  7. Liebe Gabi,
    wirklich schön zu hören, wie sehr dir Achtamkeit im Alltag mit deiner Erkrankung hilft. Ich habe Achtsamkeit und Meditation vor kurzem auch wieder entdeckt, bei mir hilft es postoperative chronische Schmerzen etwas loszulassen – wie du auch sagst: die Beschwerden sind nicht weg, keiner weiß ob sie bleiben, aber es hilft ungemein sich auf die Gegenwart zu besinnen, und Negatives für den Moment loszulassen. Es macht viel aus, den inneren Standpunkt zu wechseln.
    Und irgendwie hilft mir die Achtsamkeit auch in anderen Situationen – es macht natürlich Stress und Negatives nicht weg, aber hilft damit anders umzugehen, zumindest manchmal. Ich wünsch dir alles Gute für den Umgang mit dem Long Covid und schöne Spaziergänge im Grünen!

    1. Vielen Dank. Auch dir alles Gute! Chronische Schmerzen sind heftig, da ist es gut, dass du da auch eine gute Möglichkeit gefunden hast, wie du besser damit umgehen kannst.

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