Ich habe meinen Führerschein minimalisiert

Ich will mich gerade einfach mal ganz spontan in die Welt hinaus freuen: Heute ist mein ganz persönlicher Freiheits-Feiertag. Ich habe meinen Führerschein abgegeben.

Juchuh! Ich bin sehr erleichtert. Warum ich diesen Schritt gegangen bin, dafür gibts mehrere Gründe. Genau genommen hätte jeder einzelne Grund ausgereicht:

1. Ich wohne in einer Gegend mit gut ausgebautem ÖPNV.

Busse, U-Bahn – ist alles in gut erreichbarer Nähe. Die nächste Bushaltestelle ist ca. 5 Minuten Fußweg entfernt. Die Busse fahren im 10 Minuten-Takt. Ich wohne halt nicht auf dem Land, wo nur 3 x am Tag ein Bus fährt.

2. Autos sind teuer

Rechnet man mal alles zusammen, Anschaffung, Unterhalt, Versicherung, Energie – das ist alles sehr sehr viel Geld.

3. Um Autos muss man sich kümmern

Mich um Autos zu kümmern, hat mir echt noch nie Spaß gemacht. Schon gar nicht Inspektionen, Waschanlage, Reifen wechseln, Tüv. Sowas finde ich komplett nervtötend.

4. Carsharing ist teuer.

In gerade mal 5 Minuten Entfernung ist eine Carsharing-Station. Aber auch Carsharing ist teuer geworden. Kaution, Aufnahmegebühr, Monatsbeitrag. Und dann noch Kosten pro Stunde und pro Kilometer. Für das Geld kann ich auch bequem ab und an mit dem Taxi fahren. Taxifahrten sind teuer, aber da selten genutzt immer noch Lichtjahre billiger, als Carsharing oder ein eigenes Auto.

5. Verstopfte Straßen

Hier im Ruhrgebiet ist immer irgendwo Stau oder eine Baustelle. Ich will es nicht mehr.

6. Gesundheit

In den ersten Wochen nach meiner Coronainfektion konnte ich nicht mal mehr als Fußgängerin auf Anhieb eine Ampelkreuzung überqueren. Ich musste erstmal 2 Minuten nachdenken, wie die Verkehrsregeln funktionieren. Als Fußgängerin komme ich heute gut klar. Aber Auto fahren? Reicht die Konzentrationsfähigkeit? Kenne ich noch alle Regeln? Lande ich im körperlichen Crash, wenn ich überlastet bin durch die Fahrerei? Sowas brauche ich nicht. Nebenbei werde ich ja auch nicht jünger. Ich wollte nie zu den Menschen gehören, die irgendwann mal mit 80+ noch selbst am Steuer sitzen.

7. Das Auto war immer vorrangig ein berufliches Ding

Dieser 7. Grund ist für mich der wichtigste. Privat hat mich Autofahren immer wenig interessiert. Den Führerschein habe ich hauptsächlich für den Job gebraucht. Diese endlos vielen Stunden, die ich auf irgendwelchen Straßen verbracht habe. Meistens war es voll, chaotisch und hektisch. Irgendwo war immer eine Baustelle, dazu Raser und Drängler – fürchterlich.
Die letzte Fahrt aus privaten Gründen liegt 9 Jahre zurück. Im November 2016 im Rahmen eines Umzuges habe ich ein paar Mal ein Carsharing-Auto ausgeliehen. Meine letzte Dienstfahrt war am 8.12.2022, das ist also auch schon fast 3 Jahre her.

Vom Ballast befreien

Ich habe in den zurückliegenden Monaten immer wieder irgendwas von der Arbeit geträumt. Erst als ich beschlossen habe, dass ich meinen Führerschein zeitnah abgeben werde, ließen diese Arbeitsträume endlich nach. Arbeit, Führerschein  und Auto gehörten für mich immer zusammen. Also war es an der Zeit, hier wirklich mal Fakten zu schaffen.

Würde morgen jemand die LongCovid-Wunderpille erfinden und ich gleich danach im Lotto gewinnen – auch dann würde ich nicht mehr selbst Auto fahren wollen. Also wozu diesen Führerschein. Ich brauche ihn nicht mehr, ich will ihn nicht mehr und jetzt bin ich ihn los!

Das Gefühl von Freiheit ist unbeschreiblich. Als ich vorhin zurück kam, habe ich erstmal spontan den Song „Freiheit“ von Marius-Müller-Westernhagen in Dauerschleife gehört. So schön.
Schon, als ich noch gearbeitet habe, war klar, dass ich meinen Führerschein irgendwann abgeben will. Es war nur noch nicht klar, wann. Heute war es dann soweit und es fühlt sich alles so unendlich gut an.

Minimalismus ist halt mehr, als ein paar Dinge zu entrümpeln. Minimalismus ist, sich von dem zu befreien, was belastet, einengt und/oder nicht gebraucht wird. Was das genau ist, ob Führerschein oder irgendein unpassendes T-Shirt, ist komplett egal. Das ist je nach Lebenssituation sehr unterschiedlich. Wichtig ist nur, den Ballast loszuwerden. Und natürlich wollte ich den Führerschein nicht entwertet als Erinnerung zurück haben. Der läge eh nur irgendwo in der Schublade herum – bloß nicht! 😉

Ausschnitt aus der Bescheinigung zur Führerscheinabgabe

28 thoughts on “Ich habe meinen Führerschein minimalisiert

  1. Chapeau! Du hast dich mit der Abgabe deines Führerscheins von einer mentalen Bindung befreit. Das ist viel mehr als die Entsorgung eines kleinen Gegenstandes.

  2. Hm, ist ja ein Ding. 🤔 Ich wäre nie auf die Idee gekommen, meinen Führerschein zum Amt zu tragen. Irgendwann nicht mehr Auto fahren ja, aber den Lappen abgeben? Nein, hätte ich gar keine Notwendigkeit darin gesehen.
    Wenn es dich befreit, ist alles gut. Dazu will ich gar nichts sagen. Jeder hat da andere Bedürfnisse und da du ja in der Stadt wohnst, brauchst du sehr wahrscheinlich wirklich kein Auto.
    Ich hoffe für mich, dass ich zum richtigen Zeitpunkt den Absprung schaffe, aber bis dahin genieße ich die Freiheit, zu der Zeit zu der ich´s brauche, hier vom Dorf weg und wieder zurück zu kommen.

  3. Ich kann dich so gut verstehen. Mein Auto habe ich vor zwei Jahren verkauft und mir eine Jahreskarte für die Öffis gekauft. Die Entscheidung war so gut, ich hasse Werkstätten und den Zirkus rund um Service, Reifen, Tankstellen usw. Außerdem will ich nie wieder im Stau stehen müssen. Klar ist der Einkauf schwieriger geworden mit Fussmärschen und Schleppereien, aber ich brauch ja nicht soviel und habe einen guten Rucksack. Das Leben ist einfacher geworden ohne Auto, ich weiß gar nicht, wo ich den Führerschein hingesteckt habe, habe ihn nicht mehr vermisst. Sollte er noch auftauchen, werde ich mich auch davon trennen.

  4. Jedesmal freue ich mich, wenn jemand die Entscheidung trifft, aufs Autofahren zu verzichten. Herzlichen Glückwunsch liebe Gabi zu Deinem konsequenten Schritt.
    Ich habe bereits vor 38 Jahren den Entschluss gefasst, nie mehr Auto zu fahren. Ich hatte nie Freude am Fahren und habe den Führerschein nur gemacht, weil es eben vermeintlich dazu gehörte.
    Dann kam mir plötzlich die Erkenntnis, dass mich das alles nur stresst und mir gar nichts bringt.
    Ich überließ mein Auto meinem Bruder, der sich darüber freute und das wars dann.
    Was für eine Erleichterung.
    Ich habe den Führerschein nie abgegeben, er schlummert bis heute bei meinen persönlichen Papieren. Kann ich ihn eigentlich nur im Altpapier entsorgen? Er wurde noch nie vermisst.

  5. 0,667 Autofahrten hatte ich pro Jahr in den letzten 20 Jahren. Ich hasse die Dreckschleudern. In meiner kleinen Straße haben nur 4 von 16 Parteien ein Auto. Das macht mich fröhlich. Ich wünschte, noch mehr Leute hätten deinen Mut und seien so konsequent. Zentral wohnen und sich erst gar nicht abhängig machen von einem Auto.

  6. Immer wieder setze ich mich mit dem Gedanken auseinander und verwerfe ihn trotzdem jedes Mal. Ich wohne auf dem Land, da würde mein Arbeitsweg (9km durch Feld und Wald, jetzt etwa 8 Minuten) zu einer echten „Schulreise“ mutieren mit den Öffis- ganz abgesehen davon, dass die immer genau dann fahren, wenn ich sie NICHT brauche. Die nächsten 4,5 Jahre, also so lange, wie ich noch arbeite(n muss), ist mein Autochen nicht wegzudenken.
    Allerdings gebe ich dir in allen Belangen Recht: ein Auto ist teuer und aufwändig. Und der ökologische Aspekt wiegt auch schwer, obwohl ich wirklich weniger als 8000 km fahre im Jahr, mein Auto klitzeklein ist und auch schon 11 oder 12 Jahre alt. Was tun, wenn es mal den Geist aufgibt? Gute Frage…..
    Dass du dich jetzt befreit fühlst, kann ich total nachvollziehen. Geniess dieses gute Gefühl!
    Ein schönes WE dir, herzliche Grüsse!

    1. Immer wieder das gleiche Desaster, so schade. Wenn die Busse für den Arbeitsweg nicht passend fahren und wenn, dann evtl. noch Umwege über Pusemuckel machen, gehts einfach nicht.
      Ich drücke dir die Daumen, dass dein kleines Autochen noch die 4 1/2 Jahre durchhält!

  7. PS: Ich frage mich schon, mit welcher kleinen Aufmerksamkeit die Stadt aufwartet, wenn man den eigenen Führerschein freiwillig aufgibt? Das könnte ja auch ein gutes Anreizsystem sein, um Menschen zum Umstieg auf die Öffis zu bewegen. 😀

    1. Hier in Dortmund hat man die Wahl zwischen 2 Monaten Deutschlandticket oder 1 Jahr kostenlos in den Westfalenpark (Jahreskarte kostet normal 44 Euro) oder eine Jahreskarte für den Zoo (Normaltarif 59 Euro). Ich habe mich für 2 Monate Deutschlandticket entschieden, bringt mir am meisten.
      Es gibt vereinzelt Städte, da bekommt man das Deutschlandticket gleich ein ganzes Jahr. Das hätte mir auch gut gefallen. Wenn man will, dass Senioren irgendwann ihren Führerschein zurück geben, ist das genau genommen auch richtig.

  8. Hallo Gabi,

    deine Gründe finde ich sehr gut nachvollziehbar. Selbst fahre ich ja auch nicht gern Auto (weder selbst, noch bei anderen als Beifahrer). Obwohl ich meinen Führerschein selbst kaum nutze, empfände ich es aktuell allerdings als noch zu früh, um ihn aufzugeben: So lang sind die Strapazen der Fahrstunden dann doch noch nicht her und gelegentlich brauche ich ihn ja doch noch – beispielsweise bei Umzügen.

    Lieber Gruß
    Philipp

    1. Während meines Arbeitslebens wäre es mir auch nie in den Sinn gekommen, den Führerschein abzugeben, selbst wenn ich einen Job gehabt hätte, wo der Führerschein nicht gebraucht wird. Ich habe meinen Führerschein 1979 gemacht. Fahrzeit der Prüfung: 10 Minuten. So teuer wie heute war es auch nicht. Es waren mehr als 1000DM, aber deutlich weniger als 2000DM. Irgendwo dazwischen.

  9. Kostentechnisch läppert sich mit dem eigenen Auto wirklich ganz schön was zusammen. Und dann braucht so ein Auto auch noch richtig viel Platz – die meiste Zeit steht es ja irgendwo herum. Hier auf dem Land ist das kein Problem aber alleine fürs Parkhaus zahlt man oft schon horrende Preise. Sobald wir aber zu zweit unterwegs sind, ist das oft billiger, als Bahnfahren. Ich fahre ja sehr gerne Auto und als ich vorm Studium mal ein Jahr für ein Zahntechniklabor Zähne ausgefahren habe, war das ein Traumjob. Mit dem heutigen Verkehr sicher nicht mehr.
    Für mich ist das Auto Freiheit da ich sonst oft hier festsitzen würde. Aber ich hoffe sehr, dass es irgendwann entweder bessere Anbindungen gibt oder wir nur noch mit autonomen Fahrzeugen unterwegs sind. Mit geht es wie dir, irgendwann will ich nicht mehr selbst fahren – man überschätzt sich schnell und der Verkehr wird langfristig sicher nicht besser.
    Liebe Grüße und viel Spaß mit deiner zusätzlichen Leichtigkeit!

    1. Auf dem Land müsste selbst ich Auto fahren, obwohl es nicht gut wäre. Aber ginge ja nicht anders. Es gibt ja wirklich Menschen, die gerne Auto fahren – auch wenn es für mich selbst nicht nachvollziehbar ist.

  10. Glückwunsch! Das war sehr gut überlegt, und die Entscheidung war richtig.

    Ich hatte noch nie einen Führerschein, war immer in der Situation, keinen zu brauchen, Bürotante, alleinstehend, kinderfrei, zu Fuß 30 min vom Arbeitsplatz weg, mit der Straßenbahn 15 min. Luxus! Manchmal hat es mir um die Unabhängigkeit Leid getan, die ich so nie hatte, mal eben schnell … Aber so richtig vermisst habe ich es nicht. Bin zu geizig für ein Auto, wenn ich ehrlich bin.

    Mein Luxus sind meine drei Katzen und mein Deutschlandticket. 😃

  11. Du hast es dir gut überlegt und deine Gründe sind für mich sehr gut nachvollziehbar. Von daher auch von mir herzlichen Glückwunsch!
    Es ist wirklich viel wert, wenn der ÖPNV gut funktioniert. Und von deiner Wohnung aus hast du kurze Wege.
    Liebe Grüße, Heike

  12. Herzlichen Glückwunsch! Ich wäre froh ich könnte es dir gleich tun, leider brauche ich das Auto um auf die Arbeit zu kommen, aber ganz ehrlich, ich mag die Dinger nicht, und noch weniger mag ich mich darum kümmern müssen. Aber …
    Meine Frau und ich haben gestern mal wieder einen Ausflug mit der Bahn gemacht, es ist so schön einfach nur einsteigen und sich um nicht kümmern zu müssen, wunderbar!
    Ich kann dich absolut verstehen und finde es absolut super das du diesen Schritt gemacht hast!

    1. Ich finde es überwiegend auch sehr entspannend mit ÖPNV.Ich muss mich nur um Ein- und Ausstieg kümmern. Allerdings ist die dt. Bahn ja durchaus auch mal nervenaufreibend bei den vielen Verspätungen. Aber man weiß, über wen man sich dann im Bedarfsfall ärgern kann 😉 Ich finde das beim Autofahren schon schwieriger. Wenn da was nicht läuft, über wen ärgere ich mich dann? Über mich, über andere, den Autohersteller, die Straßenreinigung, die Baustellen-Arbeiter…?

  13. Herzlichen Glückwunsch zu deiner bewusst getroffen Entscheidung und danke, dass du weder mit Long Covid noch mit 80 die Straßen wortwörtlich unsicher machst.

    Chapeau!

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